Philosophie

Über die Philosophie des Lernens

Zwei Themen der Kita-Pädagogik sind sehr aktuell: Die Vermittlung von Basiskompetenzen für das Kind und die responsive Haltung der Bezugsperson. Beides ist wichtig für den Entwicklungsprozess des Kindes. Die Haltung steuert beispielsweise die Partizipation, die persönliche Identitätsbildung und die Toleranz anderen gegenüber. Diese Elemente stellen im Sinne einer Wertorientierung gleichzeitig das Entwicklungsziel für das Kind dar. So beschreiben die nachfolgenden Erläuterungen einerseits die ressourcenorientierte Haltung und andererseits das Ziel der Bemühungen.

Für eine gelingende Entwicklung müssen psychologische Grundbedürfnisse erfüllt sein: Zum einen das Autonomieerleben – sich selbst als der Verursacher seiner Handlungen zu erleben und selbstbestimmt handeln zu können, sowie zum anderen das Kompetenzerleben, wie beispielsweise Aufgaben aus eigener Kraft zu bewältigen.

Die individuelle Autonomie und die Entscheidungskompetenz des Kindes sollen gestärkt werden. Das geschieht dadurch, dass das Kind Entscheidungen fällen darf, die es selbst betreffen. Gleichzeitig soll durch demokratische Gremienarbeit im Kindergarten die Mitverantwortung betont und geübt werden.

Dialog und Kohärenz

Die Pädagogin steht in einem ständigen Dialog mit dem Kind – die dialogische Grundhaltung ist, immer wieder Fragen zu stellen, damit sie das Nachdenken, d. h. die Hypothesenbildung anregen. Nur Antworten auf die Fragen der Kinder zu geben, wäre hier nicht zielführend. Die Kinder geben sich zufrieden und werden nicht zu weiteren Denkprozessen angeregt. Es wäre nachhaltiger, auf Fragen der Kinder immer weitere Fragen zu stellen. So werden die Kinder in einen dialogischen Lernprozess mit einbezogen.

Wichtig ist der Dialog auch, damit das Kind Gesprächs- und Abstimmungsregeln kennt und lernt, sie einzuhalten. Beispielsweise um den eigenen Standpunkt oder Wünsche und Beschwerden zu formulieren. Ziel ist es, eine konstruktive Gesprächs- und Streitkultur zu erlernen oder Frustrationstoleranz zu entwickeln, um sich Mehrheitsentscheidungen beugen zu können.

In der Interaktion mit seiner Umwelt gestaltet das Kind aktiv seine Entwicklung mit. Gut gelingende Bildungsprozesse sind in einen sozialen und kulturellen Kontext eingebettet, d. h. Bildung ist Sinnkonstruktion und Lebensrealität, die Sinn ergibt. Denn ohne die Sinnerfüllung (Kohärenz) bleiben Lernprozesse nicht nachhaltig im Gedächtnis. Das Kind sollte sich nicht fragen „warum muss ich das lernen“ – es soll ein Interesse und ein Selbstverständnis für das zu Lernende entwickeln.

Lernende Gemeinschaft und Zugehörigkeitsgefühl

In der lernenden Gemeinschaft wird Lernen zur sozialen Erfahrung mit der Möglichkeit zur kooperativen Problemlösung. Die Auseinandersetzung erfolgt mit realen und situativen Problemen. Mit der Bildung einer lernenden Gemeinschaft können pädagogische Bezugspersonen die Lernprozesse der Kinder auf vielerlei Weise unterstützen.

Besonders das Gefühl der Zugehörigkeit kann bei Kindern Stress reduzieren und ihr Wohlbefinden fördern, ihre intrinsische Lernmotivation und ihr prosoziales Verhalten fördern, ihr Identitätsgefühl stärken, ihre Verhaltensregulation verbessern und ihr aktives Engagement und ihre Mitarbeit erhöhen. Für die Entwicklung eines Zugehörigkeitsgefühls brauchen Kinder Erwachsene, die auf ihre Interessen eingehen sowie Gelegenheiten zum Spielen. Vor allem im Rollenspiel lernen Kinder Wesentliches über soziale Beziehungen, indem sie die Bedürfnisse, Rechte und Gefühle anderer kennenlernen.

Persönlicher Hintergrund und interkulturelle Kompetenz

Die Persönlichkeit und Individualität des Kindes müssen respektiert werden. Die Unterstützung von Erwachsenen spielt dabei eine wesentliche Rolle. Das Ziel, die Entwicklungsrichtung, ist der aktive, kompetente, kulturaufgeschlossene, eigen- und sozialverantwortliche und wertorientierte Mensch.

Die Begegnung mit dem Kind ist gekennzeichnet von Achtung der Andersartigkeit. Das Motto ist: Vielfalt oder Unterschiede sind eine Chance und eine Bereicherung. Das Kind soll sich selbst wertschätzen – seine Herkunft, seine Einstellungen und seine Verhaltensmuster. Es soll beispielsweise Freude am Entdecken der eigenen Familiengeschichte haben und Kenntnisse über die Heimat erwerben.

Auf andere Menschen zugehen und von vielen anderen Menschen lernen ist ein Grundsatz der Bildungsarbeit in der Kita – so kann generationsübergreifendes oder interkulturelles Lernen geschehen. Eine interkulturelle Kompetenz ist die Grundlage für ein friedliches und konstruktives Miteinander unterschiedlicher Individuen, Gruppen und Religionen. Die Kita wird hier als Ort erlebt, in dem Kinder Geborgenheit erfahren, sich angenommen fühlen, ihre Persönlichkeit entfalten, sich bilden und individuell begleitet werden, egal welcher Herkunft, Hautfarbe, Handicaps, sozialer Schicht und Glaubensrichtung. Eine Pädagogik, die der Demokratie in diesem Sinne Rechnung trägt, macht die Jungen und Mädchen offen für die Anerkennung individueller Unterschiede und soziokultureller Vielfalt. Eine kontinuierliche Diskussion und Reflexion mit den Kindern, dem Team, Eltern und dem Träger, dem Gemeinwesen etc. gehören zum Alltag, um zu einer gemeinsamen interkulturellen Kompetenz zu gelangen.

Partizipation und Empathie

Eine Voraussetzung zur Erziehung hinsichtlich der Wertevielfalt ist es, das Erlernen des Umgangs mit Differenzen als einen entscheidenden demokratischen Wert mit einzubeziehen.
Eine so ausgerichtete Pädagogik bietet die einzigartige Chance, dass alle Kinder die Grundlagen der Demokratie bereits in Kindertageseinrichtungen partizipierend lernen. Die Pädagogin muss Kindern mit ihren Fragen zur Andersartigkeit zur Seite stehen und mit ihnen gemeinsam nach Antworten suchen. Ein respektvoller und fairer Umgang miteinander sollten an der Tagesordnung sein. Durch das Vorbild der Bezugsperson erleben die Kinder Mut zur Meinungsfreiheit und eine bewusste Auseinandersetzung mit eigenen Vorurteilen.

Kinder haben das Recht auf umfassende Mitsprache und Mitgestaltung bei ihrer Bildung und sind in weitere sie betreffende Entscheidungen zu integrieren. So ist das Kind in erster Linie Beteiligter an seinem Lernprozess. Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit sind die Schlagwörter hierzu. Diese Zielperspektiven werden im normalen Tagesablauf oder in den Strukturen einer Kita berücksichtigt: durch die Freispielzeit, in der das Kind seine Lernprozesse weitgehend selbst gestaltet, oder durch Strukturelemente wie eine Kinderkonferenz oder durch eine Projektgruppe, die die nächsten Lernschritte selbst definiert.

Emotionen bewältigen und damit umgehen, steht ebenso auf dem „Lehrplan“ von Demokratie, Toleranz und Identität. Aufbringen von Mitgefühl und Einfühlungsvermögen sind genauso wichtig wie Hilfe geben und sie annehmen können. Oder auch Solidarität in Form von gegenseitiger Unterstützung erleben. Kinder sollen Experten in eigener Sache werden und die eigenen Sichtweisen, Gefühle und Bedürfnisse erkennen und vertreten können. Auch eigene Fehler zugeben können und bereit für neue Lösungen sein, gehören dazu. Die Kinder sollen sich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung der eigenen Person behaupten und auch anderen beistehen können.

Informelle Bildung und Ko-Konstruktion

Es wird zwischen informeller und formeller Bildung unterschieden – beides muss seinen Platz in der Pädagogik haben. Informelles Lernen meint eher die Kooperation miteinander, das Lernen in und mit der Gruppe, ohne dass ein Thema geführt besprochen wird. Informelles Lernen passiert so nebenbei im Freispiel oder auch während einer „formellen Aktion“. Informelles Lernen meint das Zwischenmenschliche – was mein Nachbar zu mir sagt, welche Freunde wie mit mir umgehen, wie das formale Thema aufbereitet wird, und wie das die Kleingruppe unter sich verarbeitet. Hier passiert ganz viel an sozialer Bildung und an Werthaltung, weil die zwischenmenschlichen Töne im Vordergrund stehen.

Das Kind lernt, indem es seine eigenen Ideen und sein Verständnis von der Welt zum Ausdruck bringt, sich mit anderen austauscht und Bedeutungen aushandelt. Es hat eigene Ideen oder Theorien. Ko-Konstruktion erweitert somit das Verständnis- und Ausdrucksniveau in allen Entwicklungsbereichen des Kindes. Der Prozess der Ko-Konstruktion trägt entscheidend dazu bei, dass das Kind Achtung gegenüber individuellen Unterschieden bezüglich Herkunft, Geschlecht oder körperlicher Beeinträchtigung entwickelt. Es lernt, dass es verschiedene Wege gibt, sich auszudrücken, die Welt wahrzunehmen, und zu erleben. Es lernt auch, Sichtweisen der anderen zu verstehen, zu respektieren und sie wertzuschätzen.